Biomarkeruntersuchungen an einheimischen Fischen: Moderne Instrumente zur Erfassung von komplexen Gewässerbelastungen

 

PD Dr. Rita Triebskorn, Steinbeis-Transferzentrum für Ökotoxikologie und Ökophysiologie, Kreuzlingerstr. 1, 72108 Rottenburg;

Tel. 07472 917499; E-Mail: stz.oekotox@gmx.de

 

 

Die Idee, Biomarker als Werkzeuge in der Umweltdiagnostik einzusetzen, orientiert sich an der humanmedizinischen Krankheitsdiagnostik, bei der Parameter, wie beispielsweise Gewicht, Blut­druck, Blutbild, Puls- bzw. Herzschlag (z. B. über EKG), Gehirnströme (über EEG), Organintegrität (z.B. über Röntgung) oder Gewebezustand (über histologische Diagnostik) beurteilt werden, um den Gesundheitszustand eines Patienten zu charakterisieren.

In der Umweltforschung sind Biomarker als molekularbiologische, biochemisch-physiologische und zel­luläre Antworten von Organismen auf Umweltstress definiert. Beispiele hierfür sind die Induktion von Stressproteinen oder Biotransformationsenzymen, Veränderungen im Bereich von Energiereser­ven oder Blutparametern, veränderte Aktivitäten von Stoffwechselenzymen oder auch histopatho­logische oder cytopathologische Effekte in Monitororganen wie der Leber, der Niere oder der Fischkieme. Zunehmend werden allerdings auch nicht-suborganismische Parameter, wie bei­spielsweise das Wachstum oder das Verhalten von Organismen als Biomarker bezeichnet. Im amerikanischen Sprachraum spricht man bei diesen Endpunkten auf organismischer Ebene von „biological indicators“ (Adams, 2002), wohingegen im deutschsprachigen Raum nicht die Re­aktion, sondern der Organismus, an dem eine Reaktion nachgewiesen wird, Bioindikator genannt wird.

Biomarker liefern einerseits Informationen über schädigende Effekte von Umweltbelastungen in den jeweiligen Organismen, können andererseits aber auch Aussagen zu Qualität und Quantität der Belastungen, denen Organismen ausgesetzt sind oder waren, erlauben. Zur Ursachenfindung benötigt man - ähnlich wie in der Humanmedizin - in der Regel eine Biomarkerpalette, die im Sinne eines epidemiologischen Bildes auf verschiedenen Ebenen Informationen zu Kausalitätsbe­ziehungen zwischen Exposition und Effekt ermöglicht. Der Einsatz von einzelnen Biomarkern ist in den seltensten Fällen sinnvoll, um Gründe für Belastungen von Organismen ausfindig zu machen, da in der Regel das Syndrom (d.h. das Antwortmuster mehrerer Biomarkerantworten) und nicht ein einzelnes Symptom (eine einzige Biomarkerantwort) spezifisch für bestimmte Belastungen ist. Auch von einem Humanmediziner wird allerdings in der Regel nicht verlangt, eine Krankheit anhand eines einzigen Messparameters (beispielsweise des Blutdrucks) zu identifizieren. 

Da verschiedene Biomarker unterschiedlich ausgeprägte „Gedächtnisse“ und Empfindlichkeiten besitzen, hat der Einsatz einer Biomarkerpalette den Vorteil, dass Endpunkte mit unterschiedlicher Sensitivität und zeitlicher Integrationskraft miteinander kombiniert werden können. Hierdurch wird gewährleistet, dass sowohl kontinuierlich vorhandene als auch nur kurzzeitig auftretende Ereig­nisse erfasst und geringe ebenso wie starke Belastungen detektiert werden können. Molekulare Marker sind in der Regel sensitiver als Biomarker auf höheren biologischen Ebenen, zeigen aller­dings auch eine höhere individuelle Variabilität und integrieren über kürzere Zeiträume. Sie sind deshalb vor allem zum Nachweis geringerer Belastungen, die permanent vorhanden sind, geeig­net. Untersuchungen zellulärer Biomarker, durch die Veränderungen bzw. Schädigungen von Ge­weben oder Zellen dargestellt werden, haben den Vorteil, sowohl permanent vorhandene als auch pulsartig auftretende sowie längere Zeit zurückliegende Ereignisse zu erfassen. Sie sind weniger sensitiv, allerdings auch weniger variabel als biochemische Endpunkte und integrieren in ihrer Antwort über längere Zeiträume.     

Im Gegensatz zu chemisch-analytischen Messungen, durch die die Präsenz zuvor ausgewählter Schadstoffe in Umweltmatrices nachgewiesen werden kann (sofern ihre Konzentrationen über den methodisch bedingten Nachweisgrenzen liegen), liefern Biomarker Informationen über Präsenz und/oder Effekte vorhandener (und ggf. in ihrer chemischen Natur überhaupt nicht bekannter) Expositionen in exponierten Organismen. Hierbei integrieren Biomarkerantworten sowohl über die Summe aller vorhandener Schadstoffe (incl. derer, die in sehr niedrigen Konzentrationen vorliegen) als auch über möglicher­weise zusätzlich vorhandene exogene und/oder endogene Stressfaktoren  und liefern da­durch Informationen über den tatsächlichen Gesundheitszustand der Testorganismen im Freiland.

Will man eine Biomarkerantwort im Freiland einem bestimmten Belastungstypus oder gar einer bestimmten Schadstoffgruppe zuordnen, muss man die Antwortmuster dieses Biomarkers unter Kontrollbedingungen, d.h. seine natürliche Variabilität sehr gut kennen. Vor allem biochemische Biomarker zeigen sehr unterschiedliche Grundlevel je nach Jahreszeit. Beispielweise ist der Grundlevel von Stressprotein hsp70 in der Leber der Bachforelle im Herbst und Winter sehr viel niedriger als im Frühjahr und Sommer. Die Aktivität eines Biotransformationsenzyms (EROD) zeigt eine umgekehrte.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Konzentrations-Wirkungskurven biochemischer Mar­ker in der Regel einer Optimumskurve gleichen, d.h. sowohl niedrige als auch sehr hohe (das System überlastende) Expositionen führen zu niedrigen Biomarkerantworten .

Um zu ent­scheiden, ob es sich bei solchen niedrigen biochemischen Werten um sehr toxische oder geringe Belastungen handelt, sollten biochemische Marker mit zellulären Markern kombiniert zum Einsatz kommen, deren Konzentrations-Wirkungskurven einer Sättigungskurve gleichen. Niedrige bioche­mische Werte in Verbindung mit niedrigen zellulären Markerantworten sprechen dann für geringe Expositionen, geringe biochemische Werte in Kombination mit starken zellulären Schädigungen für starke Belastungen.

In der Umweltdiagnostik werden Biomarker entweder an direkt aus dem entsprechenden Biotop entnommenen Organismen (im Sinne eines passiven Biomonitoring) oder an im Freiland expo­nierten Organismen (im Sinne eines aktiven Biomonitoring) untersucht. Sie haben den Vorteil, dass eine Diagnostik an noch im System existierenden Organismen vorgenommen werden kann, d.h., dass die Diagnose zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt als mit bisher üblichen gewässer­diagnostischen Methoden, die z.B. Artenfehllisten als Grundlage für ihre Beurteilung einsetzen. Biomarker sind somit Frühwarnsysteme, die greifen, bevor Schädigungen von Populationen oder gar Ökosystemen sichtbar werden. Ein Biomarker reagiert um so schneller und ist umso sensitiver, je niedriger die biologische Ebene ist, die er repräsentiert. Seine ökologische Relevanz hingegen ist umso höher, je höher die biologische Ebene ist, die er vertritt.

Im Rahmen des fünfjährigen Forschungsprojektes VALIMAR, an dem elf deutsche Forschergrup­pen beteiligt waren, wurde die Eignung von verschiedenen Biomarkern bei einheimischen Fischen als diagnostische Werkzeuge zur Bewertung der Belastung kleiner Fliessgewässer mit Umwelt­chemikalien untersucht. Das Projekt machte deutlich, dass eine Kombination aus drei bis vier bio­chemischen und zellulären Biomarkern (z.B. Ultrastruktur Kieme, Histopathologie Niere, EROD, Stressprotein hsp70) sehr gut geeignet ist, zwischen unterschiedlich belasteten Gewässern zu differenzieren, den Gesundheitszustand von Organismen zu beschreiben und Zusammenhänge zwischen Schadstoffpräsenz einerseits und Effekten auf unterschiedlichen biologischen Ebenen andererseits herzustellen. Dadurch, dass in diesem Projekt parallel die Expositionsseite ebenso wie die Effektseite auf verschiedenen biologischen Ebenen untersucht wurde, war es möglich, Stö­rungen auf höheren biologischen Ebenen (Fischpopulation, Biozönose) durch Reaktionen auf niedri­gen biologischen Ebenen mechanistisch zu interpretieren (Triebskorn et al., 2001, 2002a).

Biomarker bei Fischen kamen auch bei einer Studie zum Einsatz, die zeigen sollte, ob ein punktueller Eintrag von Chemikalien (Mit)Auslöser für ein unterhalb einer potentiellen Eintragsquelle beginnendes Edelkrebssterben war. Hierbei wurden an überlebenden Bachforellen sowie in Flohkrebsen entlang eines Transekts im betroffenen Bach verschiedene Biomarker untersucht. Die Biomarker machten deutlich, dass im Untersuchungsgewässer sowohl eine zeitlich begrenzte Punktbelastung als auch eine generelle Hintergrundbelastung vorlag. Sie lieferten zusätzlich Indizien für die zeitliche und räumliche Koinzidenz eines punktuellen Schadstoffeintrages mit dem ersten Auftreten toter Edelkrebse unterhalb der Eintragsquelle (Triebskorn et al., 2002b). Für die Bachforellenpopulation im Untersuchungsgewässer  sind diese Biomarkerantworten als  Frühwarnsignale  zu werten,  die darauf hinweisen, dass sich das Gewässersystem in einem suboptimalen Zustand befindet, und dass längerfristige Schäden auch auf der Ebene der Fischpopulation nicht auszuschließen sind. Zum Untersuchungszeitpunkt waren die Bachforellen offensichtlich noch in der Lage, sich erfolgreich sowohl mit der Punkt- als auch der Hintergrundbelastung auseinanderzusetzen. Die Grenze des Tolerierbaren war offensichtlich für diese Tiergruppe noch nicht erreicht. Anders allerdings für die Edelkrebse: Da bekannt ist, dass chronische Belastungen das Immunsystem von Organismen sehr stark negativ beeinflussen, war ein Zusammenwirken von Schadstoffbelastung und Krankheitserregern im Falle des beobachteten Krebssterbens nicht auszuschließen.  

Zusammenfassend ist festhalten, dass Biomarker sehr geeignete diagnostische Werkzeuge darstellen, die sensitiv und zu einem frühen Zeitpunkt Belastungen in Gewässersystemen detektieren und durch diese in exponierten Organismen  hervorgerufene Effekte aufzeigen. Ein kombinierter Einsatz von biochemischen und zellulären Biomarkern wird empfohlen.

Literatur:

Adams, M. (2002) ed. Biological Indicators of Aquatic Ecosystem stress. American Fisheries Society Bethesda, Maryland.

Behrens A. (1999). In vivo- und in vitro-Induktion von CYP1A in Fischen: Reaktion auf diffuse Be­lastung, Einzelstoffe und Stoffgemische. Dissertation, Leipzig, FRG. UFZ-Berichte 26. ISSN 0948-9452.

Fader S.C., Yu, Z. and Spotila, J.R. (1994). Seasonal variations in heat shock proteins (hsp70) in stream fish under natural conditions. J Therm Biol 19(5): 335-341.

Triebskorn, R., Böhmer, J., Braunbeck, T., Honnen, W., Köhler, H.-R., Lehmann, R., Oberemm, A., Schwaiger, J., Segner, H., Schüürmann, G., Traunspurger, W. (2001). The project VALIMAR (VALIdation of bioMARkers for the assessment of small stream pollution): objectives, experimental design, summary of results, and recommendations for the application of biomarkers in risk as­sessment. J. Aquat. Ecosyst. Stress. Recov., 8 (3/4): 161-178.

Triebskorn, R. Adam, S., Behrens, a., Beier, S., Böhmer, J., Braunbeck, T., Casper, H., Dietze, U., Gernhöfer, M., Honnen, W., Köhler, H.-R., Körner, W., Konradt, J., Lehmann, R., Luckenbach, T., Oberemm, A., Schwaiger, J., Segner, H., Strmac, M., Schüürmann, G., Siligato, S., Traunspurger, W. (2002a). Establishing causality between pollution and effects at different levels of biological organization: The VALIMAR project. Human and Ecological Risk Assessment, im Druck.

Triebskorn, R., Adam, S., Casper, H., Honnen, W., Pawert, M., Schramm, M., Schwaiger, J., Köhler, H.-R. (2002b). Biomarkers as diagnostic tools for evaluating toxicological effects of past water quality conditions on stream organisms. Ecotoxicology 11: 451-465.